Guten Morgen zu davaidavai 158,
als Stratege und als Berater arbeite ich längst AI-First. Künstliche Intelligenz hört nicht auf, mich zu faszinieren. Aber ich muss auch zugegeben, dass mir die Geschwindigkeit der Veränderung in Marketing und Gesellschaft Sorge macht. Kein Wunder. Mir wird manchmal vorgeworfen, zu kritisch zu sein und Dinge nicht positiv genug zu sehen. Schaue ich auf die letzten fünf Jahre zurück, würde ich mir heute eher leider rückblickend zu viel Optimismus vorher vorwerfen.
Die AI-Revolution vergleiche ich gerne mit dem Atom, das Städte beleuchten und Städte zerstören kann. Und wie beim Atom mit seinen zahllosen “Close Calls” liegt es an uns, darüber zu entscheiden, ob wir uns von ihm besiegen lassen oder ob wir wieder die richtigen Enscheidungen treffen. Der Schriftsteller Ross Douthat schreibt in einem tollen New-York-Times Essay über die Zukunft von Gesellschaft, Demokratie und Kultur in der AI Ära über unser aller Wahl zwischen hochgradig abhängig machenden AI-Kram und echtem Leben:
Have the child. Practice the religion. Found the school. Support the local theater, the museum, the opera or concert hall, even if you can see it all on YouTube. Pick up the paintbrush, the ball, the instrument. Learn the language — even if there’s an app for it. Learn to drive, even if you think soon Waymo or Tesla will drive for you. Put up headstones, don’t just burn your dead. Sit with the child, open the book, and read.
Nach wie vor glaube ich, dass hier unser aller Hauptchallenge in den nächsten Jahren sein wird - im Marketing und darüber hinaus. AI muss und soll Infrastruktur und Tool sein. Wir dürfen sie individuell aber zu nicht mehr werden lassen, weil wir sonst das Menschsein aufgeben. Wir dürfen nicht unseren intellektuellen Muskel absterben lassen, damit wir es einfacher haben. Und das meine ich aus professioneller Perspektive ebenso wie als Mensch und Vater zweiter kleiner Kinder.
Das Ganze hat natürlich auch eine große politisch-demokratische Komponente. Wahrheit oder Unwahrheit? Meine Kids werden diese Kategorien mit Blick auf Nachrichten wahrscheinlich nur noch durch die Erziehung ihrer Eltern kennenlernen, nicht aber durch ihren medialen Gebrauch. Tatsächlich hat nämlich gerade in den USA erstmals Social Media als Quelle für Nachrichten die News Organisationen überholt. Das ist ein großer, transformativer Shift.
Darüber rede ich übrigens auch auf einem Panel am 4.7. bei der GWA Strat Con Konferenz in Berlin. “Gimme Some Truth” heißt das Motto. Ich finde es ja großartig, dass der Gesamtverband Kommunikationsagenturen - anders als beispielsweise Cannes - Veränderungsprozesse auch kritisch diskutiert. Und vielleicht sieht man sich ja da am Freitag. Ich habe gehört, es sind noch ein paar Tickets da.
Happy Sunday und teilt diese Ausgabe gerne, wenn sie gefällt.
Gerald
P.S. Ich gebe noch den Sicherheitspolitik-Newsletter
heraus, der geade in den letzten Wochen viele neue Leser:innen bekommen hat. Leider aus Gründen.Strategie
Texte über Strategie und über das, was man für Strategien braucht
The Attention Equation (McKinsey)
⏱️ Aufmerksamkeit ist keine Frage der Minuten sondern der Qualität. Nicht jede Attention ist gleich. McKinsey liefert mit dieser Studie ein interessantes Rechenmodell, das Konsumzeit neu bewertet: Nicht wie lange wir zuschauen zählt, sondern mit welchem Fokus und welcher Absicht. Spannend für alle, die Inhalte monetarisieren wollen.
The Effectiveness Equation (Google)
📊 Scheinbar haben Google und McKinsey den selben Titel-Texter für Studien: Nur 20 % der Marketing-Cheff:innen wissen laut Google überhaupt, wie sie Erfolg messen sollen. Google hat dazu ein schlaues PDF gebaut: von der Pricing Power starker Marken bis zur großen ROI-Gleichung. Damit ihr beim nächsten Budget-Pitch zumindest so tut, als hättet ihr alles im Griff.
Strategie als Innovation (Substack)
🧠 Dr.
ist CMO von Project A. Simons Essay aus einer Festschrift reflektiert die immer stärkeren Überlappungen zwischen Strategie und Innovation in Praxis und akademischer Welt. Übrigens ein Thema, das mich auch stark treibt. Ich empfehle übrigens deshalb sein neues Substack Strategist's Notes sehr - gerade, wenn man sich für “moderne” Strategie interessiert.Wandel
Einige der großen Transformationen gerade.
Jede Tech-Transformation Ever (The New Yorker)
🧭 Adam Gopnik hat schon 2011 genial beschrieben, wie sich Technik-Debatten immer gleichen: Da sind die Never-Betters, die in allem Fortschritt sehen. Die Better-Nevers, die alles ablehnen. Und die Ever-Wasers, die wissen: Jede Ära erklärt sich für einzigartig – dabei wiederholt sich Geschichte nur in neuen Interfaces. Ein kurzer, zeitloser Text über die Muster hinter jeder Digital-Revolution.
Wie bilden wir zukünftig aus? (UXMag)
🧠 AI macht uns alle schneller, produktiver und effizienter. Klar. Und wir kuratieren alle nur noch den künstlich generierten Output. Auch klar. Aber wie soll das passieren, wenn wir gleichzeitig immer weniger Junior:innen brauchen und wir gleichzeitig eine kuratierende Seniorenschicht morgen immer noch brauchen? Ein Paradox entsteht, das nicht nur in Content und Kreation noch aufzulösen ist.
Die AI frisst uns alle (Joel Hladecek / LinkedIn)
🌋 “You were the dreamer. Until the dream dreamed back.” Ein düster-hellsichtiger Rant über Exponentialkurven, Prompt-Engineers ohne Zukunft und warum „AI als Partner“ ein sehr kurzer Zwischenzustand sein wird. Wer beim Thema AI die gute Laune und den Optimismus behalten will, sollte das nicht lesen.
Was ist das für 1 davaidavai?
Hallo, eigentlich heiße ich Gerald Hensel. Ich bin Marketing-Stratege und davaidavai ist mein virtuelles Alter Ego. Ein privater Newsletter über all das, was ich seit +25 Jahren für Marketing halte - und das Gedöns, mit dem ich mich ergänzend gerne beschäftige (oft ist das Politik oder Kultur). Über Feedback freue ich mich auch immer: Per Kommentar unter den Post oder als Direktnachricht oder via LinkedIn.
Creative
Kommunikation, Kampagnen und Kreativwirtschaft.
Die Grand Prix Gewinner von Cannes 2025 (John Kovacevich)
🦁 Werbe-Awards und Rankings halte ich persönlich für maximal antiquiert und trotzdem sind sie, unbestritten, immer noch eine Währung in unserer Branche. John Kovacevich hat sich wie jedes Jahr durch alle Cannes-Grand-Prix-Cases gearbeitet und sie lesenswert zusammengefasst. Wenn du wissen willst, was in Cannes gerade als „State of the Art“ gilt, ist das hier deine Shortlist. Mega Arbeit.
Ein Tisch, zwei Leben (IKEA)
🍽️ Wow! Ich liebe es. IKEA verbindet hier nicht nur mal wieder souverän Brand-Storytelling und Sales, sondern schafft etwas, was nur wenige Marken hinbekommen: Den Alltag – auch mit seinen bitteren Geschichten – zur Projektionsfläche zu machen. Zwischen Unfruchtbarkeit, Demenz und WG-Partys wird klar: IKEA ist immer dabei, in diesem bittersüßen Ding namens normales Leben.
„AI can’t generate sand between your toes“ (Polaroid)
📷 Polaroid inszeniert die Suche nach echten Erlebnissen ziemlich clever: Analoge Fotos, handgeschriebene Zeilen wie „AI can’t generate sand between your toes“ oder „real stories. not stories and reels“. Strategisch interessant und ich wünsche Polaroid bei ihrem Versuch, den Ausgang aus der Tech-Müdigkeit zu finden, viel Glück.
Get Aprrrroved (Lynx)
🐈⬛ Laut (irgendeiner von der Marke zitierten) Mafo würden 60 % der Katzenbesitzer:innen niemanden daten, den ihr Haustier nicht mag. Lynx hat daraus ein Duftspray gemacht, das nicht nur Menschen, sondern auch Katzen um den Finger wickeln soll. Schön quirky und dezent wahnsinnig. Extrapunkte gibt es für den Soundtrack.
Sidney Sweenys Bathwater Bliss (Reddit)
🛁 Und wir bleiben dezent irre: Sidney Sweeney hat (angeblich) ihr Badewasser in Seife verwandelt, zumindest laut einer TikTok-Kampagne mit einer ziemlich ironiebegabten Seifenfirma. Kann man cringe, krank oder clever finden. Vermutlich ist am Ende nicht viel mehr als ein Nanogramm Badewasser drin, aber das reicht halt für das letzte bisschen Viralität 2025. Auch hier: Ich mag den Song.
Snickers, Google & 25.000 Tippfehler (Medium)
🍫 Eine dieser seltenen Ideen, die Marke und Performance souverän zusammenbringt: Statt sich brav an SEM-Regeln zu halten, buchte Snickers UK 2013 Google Ads auf 25.000 absichtlich falsch geschriebene Suchbegriffe wie „beleive“ oder „calender“. Der Clou: Die Anzeige spielten mit der Snickers Brand-Story („Yu cant spel properlie wen hungrie“) und verband sie mit effektivem SEM.
”Einfach, weil es gut aussieht” (Jessica Walsh / LinkedIn)
🎨 Nicht jede Linie braucht ein 200-seitiges Strategie-Deck: Jessica Walsh von der New Yorker Designagentur &Walsh macht sich auf LinkedIn gekonnt lustig über Branding-Perfektionismus. Wenn die großen Weichen gestellt sind, darf Design auch mal einfach nur gut aussehen. Ganz ohne Purpose, ohne Geschichte. Amen.
UX
Über gute Nutzer:innen-Erlebnisse
Bill Atkinsons 10 Regeln für menschlichere Interfaces (figma.com)
🧠 Ohne Bill Atkinson gäbe es wohl kein „Drag & Drop“ wie wir ihn kennen. Und viele, viele grafische Features in diversen Mac programmen. Der legendäre Apple-Ingenieur, hat sich immer gefragt, wie Interfaces gestaltet sein müssen, damit sie sich wirklich intuitiv anfühlen? Bill Atkinson hat in seiner Karriere viele UX-Regeln aufgestellt, die bis heute Bestand haben. Posthum feiert ihn Figma für diesen wesentlichen Beitrag zur Diszplin User Experience.
UX-Szenarien & GenAI (uxdesign.cc)
🖍️ Chris R. Becker zeigt, wie Designer:innen mithilfe von GenAI neue UX-Szenarien visualisieren, die mit viel Raum für das realisiert werden können, was User heute tun und brauchen. Besonders spannend: seine Praxisbeispiele aus Workshops mit Visual Electric, Figma und Art-Studierenden. Ein schöner Einstieg in die Frage, wie AI-Tools kreatives Denken (nicht ersetzen, aber) stützen können. Superschlaue Präsentation übrigens.
Content
Wie wir bessere Inhalte erstellen.
Content Marketing in der Post-Follower-Ära (Joe Lazer / Substack)
📬 Wie schafft man in der Post-Follower Ära noch Wertschöpfung im Content Marketing? Joe Lazer hat einen sensationell guten Text dazu geschrieben: Erst raus in den Algorithmus, dann rein ins Abo, schließlich ab in die Gruppenchats. Funnel-Denke gewinnt das Spiel. Danke für so schlaue Gedanken so smart zusammengefasst.
McDonald’s Micro-Influencer:innen-Strategie (Brian Blum / IG)
🍔 Erst die Kleinen füttern, dann kommen die Großen schon von selbst: Brian Blum erklärt auf Instagram, wie McDonald's USA ganz organisch mit Mini-Influencer:innen begann und dann Reichweite aufbaute. Die Strategie? Fast schon anti-strategisch. Aber offenbar funktioniert genau das gerade ziemlich gut.
Wie man TikTok SEO macht (ahrefs)
📱 TikTok ist auch Suchmaschine – und wer da mitspielen will, muss wissen, wie. Dieser praktische Guide zeigt, worauf es ankommt: Hooks, Thumbnails, Retention, aber eben auch suchoptimierte Captions und Kommentare. Klingt nach Voodoo, ist aber schlicht solides Handwerk in einer neuen Plattformlogik.
Was passiert, wenn aller Content AI wird? (askcatgpt / IG)
🤖 askcatgpt fragt, was eigentlich passiert, wenn unsere Timelines nur noch aus künstlich generierten Inhalten bestehen. Denn zweifellos hat das alles große Folgen. Für Agenturen, Influencer:innen und sogar für die Welt des Desinformation. Auch Putins Trolle und rechte Märchenerzähler:innen hatten es schon mal einfacher.

AI
All hail our Robot Overlords.
Studie: Wer mit ChatGPT arbeitet, denkt weniger kritisch (TIME)
🧠 Eine neue MIT-Studie legt nahe: Wer sich von ChatGPT helfen lässt, denkt messbar weniger kritisch. In einem noch nicht peer-reviewten Experiment zeigte die KI-Gruppe die geringste Hirnaktivität und schlechtere sprachliche wie kognitive Leistungen. Besonders Kinder seien gefährdet, warnt die Autorin. Kritisches Denken ist ein Muskel. Wer ihn auslagert, kann ihn verlieren.
ChatGPT als Yes-Man-Therapeut (The New York Times)
🛋️ Und nein, ich werde in Sachen AI Beurteilung diese Woche nicht mehr positiver. Die New York Times beschreibt, wie Nutzer:innen sich in ihren eigenen Echokammern verfangen, wenn der ChatGPT Bot alles Therapie-Quickfix bestätigt. Ein Tool, das eigentlich helfen soll, wird so schnell zum digitalen Beichtstuhl ohne Widerworte. Und das ist gefährlicher als es klingt.
Böse Kommunikation: Delta Airlines
Nicht immer ganz nette Kommunikation, oft aus der bösen alten Zeit.
Das galt 1973 noch als cool. Aber das war 1973 wahrscheinlich auch die am wenigsten sexistische Anzeige irgendeiner Airline in der Welt.
Schlaue Karten: Polens Wirtschaftskraft
Polen ist ein echtes wirtschaftliches Kraftwerk in Mittelosteuropa. Die Wirtschaftskraft Polens ist größer als die fast aller seiner osteuropäischen Nachbarländer kombiniert.
Wahre Geschichte
Alles, was ich interessant fand aber sonst nirgends einordnen kann.
AI-Bibel-Influencer auf TikTok (Fast Company)
📹 Moses, David & Co. als TikTok-Stars: Der tiktok Account @holyvlogsz verwandelt Bibelfiguren per Google Veo 3 in hyperrealistische Influencer:innen. David erzählt im Selfie-Mode vom Sieg über Goliaths („Love that for me“), während Moses durch das geteilte Meer läuft („Kein Plan, wo das auf Google Maps ist“). Die Videos sind so absurd wie unterhaltsam. Geht wahrscheinlich in Gilead den USA ganz gut.
Delegator 3000 (Replit)
🕹️ 15 Szenarien, unfassbar viel Druck – dieses kleine Browser-Game testet, wie gut du Aufgaben abgibst, ohne den Verstand zu verlieren. Ich habe es kaum 20 Sekunden ausgehalten. Ein unfassbar nerviges Experiment in Sachen Delegationsfähigkeit.
Die Männer, die die Atombombe abwarfen (The Guardian)
☢️ Dieses Jahr jähren sich die Atombombenabwürfe zum achtzigsten Mal. Stephen Walker hat mit Shockwave eines der eindrucksvollsten Bücher über Hiroshima geschrieben. Der Guardian hat einen beeindruckenden Artikel über die Gespräche mit mit den letzten Überlebenden der Crews, die 1945 die Bomben warfen.
How to Win a Fight (Wired)
🥊 Wired hat eine beeindruckende Sammlung an Texten übers Kämpfen zusammengestellt. Wann lohnt es sich, zu kämpfen? Wie gewinnt man? Und wie hört man wieder auf? Eine kluge, überraschend vielfältige Leseliste über Konflikte, Entscheidungen und Haltung. Danke, Wired.
3AM Eternal (The KLF)
🎹 Zum Schluss: Musik. Auf einem Trip Down Memory Lane erwischte ich mich die Tage dabei, mal wieder The KLF zu hören und erstarrte, als ich heraus fand, dass “3AM Eternal” tatsächlich schon 34 Jahre alt ist. Kam 1991 raus und klingt definitiv nicht so. Irre.
Vielleicht sei noch als unnützes Party-Wissen ein paar Wikipedia-Fakten zum Ende von The KLF geteilt. Man weiß ja nie, wann man sowas mal unterbringen kann.
Danke für deine Aufmerksamkeit. Noch ein Beitrag in eigener Sache:
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Dieser Newsletter repräsentiert übrigens zu 100% meine persönliche Meinung.