Guten Morgen zu davaidavai 150,
150x davaidavai, das sind grob gerechnet acht Jahre dieses Newsletters. Ich habe in meinem Leben diverse lange Blog- und Newsletterformate ausprobiert. Aber davaidavai begleitet mich in diversen Aggregatszuständen nun schon seit fast 20 Jahren. Zuerst als Blog und dann dank meiner fast Staatsaffäre 2016 als Newsletter, wo blödsinnigerweise sogar der Titel dieser Publikation Thema war (hört selbst).
Ein solches Langformat lebt mit einem. Es Baby zu nennen, trifft es schon. Denn neben der Zeit, die man damit verbringt, entwickelt sich das Format und du mit ihm. Du kippst viel Persönlichkeit rein, stellst irgendwann verwundert fest, dass dich ein paar Leute kennen, die du nicht kennst. Und hin und wieder kriegst du eine neue inhaltliche Idee, die manchmal sogar funktioniert. Ich liebe davaidavai. Und ich freue mich über jedes Feedback.
Bei speziell allen neuen Leser:innen muss ich mich nochmal für eine Sache entschuldigen, die hier immer ein “Problem” war: Hier geht’s um Marketing, aber Politik bricht immer durch. Als Stratege habe ich zwar mittlerweile 27 Jahre Markenarbeit hinter mir, als studierter Politologe, Aktivist und Sicherheitspolitik-Freak ebenso lange Politik getankt. Das eine geht bei mir nie ohne das andere. Wer sich für die andere Welt interessiert: Mein zweites Langzeit-Newsletter Projekt Neue Bellona legt vollen Fokus auf Sicherheitspolitik und Ukraine.
Last, but not least: Was kaum jemand glaubt. Ich schreibe sehr viele finale Sätze dieses Newsletters tatsächlich kurz bevor ich auf “Senden” drücke. Aktuell ist bei mir Sonntag 5.38 Uhr und über Hamburg will die Sonne langsam aufgehen. Mein kleiner Sohn macht sich ebenfalls schon bemerkbar. Ich muss schnell schreiben. Zwei kleine Kinder sind eine natürliche Randbedingung jeder nebenberuflichen Tätigkeit, die Zeit kostet.
Heute steige ich mal wieder eher politisch ein, weil wir einfach gerade sehen, dass die Tools, die Marken groß machen können, auch die Tools sind, die den neuen Techno-Faschismus groß machen können. Das sollten wir nie vergessen, auch wenn wir glauben, das eine ging ohne das andere. Alles ist politisch. In diesem Sinne: Danke fürs Lesen, ich freue mich auf die nächsten 150 Ausgaben und ich hoffe, dass auch diese hier Spaß oder wenigstens schlau macht.
Ein frohes Wochenende mit etwas Sonne.
P.S. Wer diesen Newsletter weiter empfieht, wird von mir ins Nachtgebet eingeschlossen.
Kollaps
Vier Artikel über den aktuellen Aufstieg nationalistischen Techno-Faschismus’.
Babel: Warum starke Gesellschaften wanken (The Atlantic)
Der Atlantic Artikel ist schon fast drei Jahre alt, lohnt sich aber immer noch zu lesen. Jonathan Haid hinterfragte darin, worauf der nun offenkundig werdende Kollaps Amerikas eigentlich zurückzuführen ist. Die Metapher, die er fand, trifft es ganz gut: Babel. Gott strafte den Hochmut der Bewohner von Babel, indem er ihnen Sprachen gab, sodass sie sich nicht mehr verstanden. Bei uns sind das Algorithmen-getriebene Echochambers und Bubbles, aus denen niemand mehr auftaucht und die den Kit ganzer Gesellschaften zerfressen. Der Link funktioniert bei mir mobil ohne Paywall.
Curtis Yarvin: Vordenker hinter dem Tech-Faschismus (New York Times)
🧟♂️ Curtis Yarvin ist die philosophische Blaupause hinter dem, was gerade bei Musk & Co. abgeht. Sein „Techno-Monarchismus“ (auch Techno Faschismus genannt) propagiert ein CEO-ähnliches Herrschaftsmodell ohne Wahlen – das von Algorithmen und AI gemessen und optimiert wird. Scheinbar glaubt Yarvin daran, dass sich Trump und Co wirklich maschinell gemessenen Werten unterwerfen wollen. Der Arme.
Kanada boykottiert US-Produkte – und feiert sich selbst (Fast Company)
🍁 Für manche wird die bald offenkundiger werdende kriegerische Seite des Techno-Faschismus spürtbar. Für Kanada zum Beispiel: Anti-Trump-Stimmung trifft auf trotziges Konsumverhalten: Viele Kanadier:innen ersetzen bewusst US-Produkte durch heimische Alternativen. Von Hawkins Cheezies bis zu Stanfield’s Underwear – der „Buy Canadian“-Trend boomt. Auch die Flaggenverkäufe steigen. Nationalismus triggert Nationalismus. Wahrscheinlich werden wir das bald auch in Europa sehen.
DOGE ersetzt Beamte durch AI - die sie selbst kontrolliert (Wired)
🤖 Und wer sich fragt, wo das alles hinführt: Musk feuert Beamten, ersetzt sie nun durch eine AI – und kontrolliert diese natürlich selbst. GSAi, ein neuer KI-Chatbot für US-Behörden, ist erstmal vermeintlich nur eine Bürosoftware, die Dinge einfacher machen und die nächsten Entlassungen legitimieren soll. Der vermeintliche Kampf gegen Bürokratie dürfte sich bald aber als etwas ganz anderes entpuppen.
Creative
Und es gibt trotzdem immer noch gute Kreation und Artikel darüber.
Beautiful Internet (Telstra)
🌐🎲 Telstra, Australiens größter Telekommunikationsanbieter, setzt auf Spektakel statt Standard: 20.000 echte Domino-Steine, kunstvoll arrangiert, um die Perfektion ihrer Home-Internet-Performance zu visualisieren. Und ja, das ist wirklich echt – kein CGI, sondern präzise Handarbeit von einem Team aus Domino-Profis (!) und Set-Designer:innen. Wie bei “Wetten, Dass…” in den Achtzigern. Schmacht.
Der Link führt zu Youtube.
Popular for a reason (SkinnyPop)
🍿 Gespielte Witze sind ja so eine Sache. Jennifer Aniston versucht in einem im Rahmen eines solchen in ein Hotel einzuchecken. Wahnsinnig klassisch das Ganze. Aber schon alleine durch seine theatralik sehr witzig und kombiniert sich gut mit der bekannten Frau. Verkaufen tun Spots mit großen Popcorntüten wahrscheinlich auch ganz gut.
Wie The Sims eine ganze Generation Kreative geprägt hat (It’s Nice That)
🎮 Ich hasse wenig so sehr, wie diese implizite These, nach der Digital Natives in den letzten 15 Jahren geboren wurden (ich könnte jetzt ausholen, aber das Wort beschrieb die Gen X seinerzeit). Games sind schon viel länger Popkultur als manche denken könnten. In 25 Jahren haben The Sims als kreatives Tool ihren Look und ihre Metaphorik weitergegeben: Architektur, Interior Design, Mode, Werbung, Musikvideos – die Ästhetik und der Sandbox-Charakter haben ganze Branchen in ihrem Schaffen inspiriert.
Oldie but Goldie: Virgin Digital’s Musikrätsel von 2006
🎵 Und wo wir gerade etwas nostalgisch sind: 2006 launchte Virgin seinen digitalen Musikservice – ohne großes Budget, aber mit einer cleveren Idee. Ein fast klassisches Bilderrätsel, in dem man 75 Bands suchen und finden sollte. Eigentlich eine Idee, wie aus Omas Zeitung - aber immer noch gut. Über das Ding bin ich die Tage mal wieder gestolpert. Gestreut wurde es in der damals noch existierenden Blogosphäre. Die große Version gibt es hier.
Tyler Cowen: Wie AI mein Schreiben verändert (YouTube)
📝 Der Wirtschaftsprofessor und Blogger Tyler Cowen spricht in diesem super Clip darüber, wie AI ihm beim Schreiben hilft. Von effizienterem Denken bis zu neuen Perspektiven, ist da manches bekannt. Super finde ich aber, wie er seine dialogische Interaktion rund um seine Texte beschreibt. Wenn du selbstkritisch bist und die AI für Texte zum kritischen Denken trainierst, bekommst du was raus. Der Clip ist eine Stunde, lohnt sich aber.
Fatboy Slim: „Always go for the Unexpected“ (YouTube)
🎧 Und noch ein gutes Interview. In den letzten Minuten dieses Interviews gibt Norman Cook aka Fatboy Slim einen simplen, aber goldenen Tipp: „Always go for the Unexpected.“ Zumindest dann, wenn du willst, dass man sich an dich erinnert. Zugegeben: Das gilt für Kreativarbeit ebenso wie fürs Danebenbenehmen auf Weihnachtsfeiern.
Design
Über gute Gestaltung
Das Design-Game hat sich verändert (UX Collective)
🎨🤯 Diese Sache mit der eigenen Rolle in einer sich ständig verändernden Welt dürften viele von uns spüren. UX-Designer Pascal Potvin ist am Suchen in einer Branche im Wandel: Erfolg fühlt sich nicht mehr an wie früher, Design ist mehr Marketing als Handwerk, und die Creator Economy nimmt immer mehr Raum ein. Pascals Fragen sollten nicht als Klagen gelesen werden sondern als total valide Punkte für die eigenen Dauer-Selbstneuerfindung.
Warum Kreative Geschmack brauchen (Emil Kowalski)
🛠️ Wer gerade an seiner Rolle als Kreative/r zweifelt, sollte vielleicht diesen Text als Absprungpunkt nehmen: „Wo es Mangel gibt, braucht es Werkzeuge. Wo es Überfluss gibt, braucht es Geschmack.“ Emil Kowalski über die seltene und sehr menschliche Eigenschaft, Geschmack zu haben und Geschmack anzuwenden. Das kann die AI tatsächlich noch nicht ersetzen.
Content
Trumps Gaza-Video: Von KI-Satire zur Propaganda (NBC News)
🎭 Wir erinnern uns an das völlig geschmacklose AI-generierte Gaza Video, das Trump geteilt hat? Es stammt eigentlich von den beiden Creators Solo Avital & Ariel Vromen aus LA. Die beiden wollten angeblich mit ihrer absurden Gaza-AI-Satire nur ihre Software testen. Trump teilte das Video ohne Credits. Die beiden wissen nicht mal, wie ihr Video zu Trump kam. Egal wie: So wurde aus einem hässlichen Stück Künstlicher Intelligenz Weltpolitik. (via
)Wie 12 Amerikaner:innen die Welt mit TikTok sehen (NYT)
📱💭 Sehr lesenswerter Feature-Artikel der NYT über Amerikas Nutzung von tiktok. Nutzer:innen in einer Fokusgruppe schätzen zwar die Unterhaltung und Vernetzung, kämpfen aber sehr häufig mit Sucht und Content-Overload. Die Befragten beschreiben, welche Rolle TikTok in ihrem Alltag einnimmt, was es ihnen gibt und was es ihnen wegfrisst. Das drohende Verbot in den USA verstehen oder akzeptieren viele nicht.
State of Create Studie (Patreon)
🎨📉 Und gerade tiktoks Zukunft sorgt auch bei Creators für Sorgen. Ja, Algorithmen killen die Reichweite, und viele Creator:innen kämpfen ums Publikum und Engagement bricht ein – aber es gibt Hoffnung für die, die unsere Social Media Kanäle mit sich selbst befüllen. 90 % würden den Job trotzdem weiterempfehlen, denn man hofft immer noch auf eine kreativere Zukunft. Creator-First statt Plattform-Willkür? Wir werden sehen.
AI & Martech
Wie wir Medien und Marketing automatisieren
New York Times geht voll auf AI - fast (Semafor)
📰🤖 Die New York Times setzt voll auf AI, zieht aber klare Grenzen. Während Tools wie Echo SEO-Headlines oder Social Copy generieren sollen, bleibt das Schreiben kompletter Artikel tabu. AI darf angeblich keine vertraulichen Quellen gefährden oder Urheberrechte verletzen. Das wäre auch recht dumm, weil die Times OpenAI gerade wegen massiven Copyright-Verstößen gerade verklagt.
Top 50 GenAI Use Cases in Marketing (MarTech)
📊🤖 Wo liefert GenAI echten Mehrwert? Wo endet es im Murks? Eine Umfrage unter 283 Marketing-Profis zeigt klare Muster: Während Content- und Datenanwendungen längst im Alltag angekommen sind, tun sich AI-gestützte Ads noch schwer. Der Artikel bietet eine wahnsinnig interessante Übersicht über wirklich viele Marketing Use Cases. Danke René Herzer fürs Teilen.
Böse Kommunikation: CPU
Nicht immer ganz nette Kommunikation, oft aus der bösen alten Zeit.
Ja, da sag noch einer Nerds seien nicht sexy. Der C-64 war als Homecomputer Anfang der 1980 DER heiße Scheiß. Mir ist unklar, was das Paar auf dem Cover von CPU macht, aber es soll wohl auch sexy sein. Ich werde hier einen Teufel tun, nochmal an die oben bereits begonnene Digital Natives Diskussion anzuschließen. Aber so sah das damals aus.
Schlaue Karten: Ukraine
Karten, und wie sie uns die Welt zeigen.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine
11 Jahre geht der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine schon. Beginnend mit dem Überfall auf die Krim und dann mit der russischen Vollinvasion seit 2022. Karten werden auch jetzt wieder wichtig, wenn verhandelt wird. Über 20% ukrainischen Gebiets sind immer noch besetzt, aber die Karten zeigen auch eine Ukraine, die sich gegen einen überlegenen Aggressor Russland heldenhaft verteidigt.
Wahre Geschichte
Alles, was ich interessant fand aber sonst nirgends einordnen kann.
Krabi: Wenn alles zur Krabbe wird (YouTube)
🦀 Die (damals noch) Tschechoslowakei war in den 70ern und 80ern eine Film-Supermacht. Und sie war mega experimentell. Der animierte Sci-Fi-Kurzfilm Krabi (1976) von Václav Mergl treibt die Idee der Karzinisation auf die Spitze: Was, wenn sich alles irgendwann in Krabben verwandelt? Das Ergebnis: 10 Minuten surrealer Wahnsinn.
Die Geschichte der Maniküle (Messy Nessy)
☝️ Diese kleine Hand, die überall hinzeigt – auch hier –, nennt sich Maniküle. Ursprünglich aus dem Mittelalter, wurde sie in Büchern, Plakaten und Druckwerken genutzt, um Wichtiges hervorzuheben. Eine Art Dominikaner-Call-to-Action. Messy Nessy erzählt die Geschichte dieses typografischen Zeigefingers, der nie aus der Mode gekommen ist - und den ich selbst sehr gerne einsetze.
Pet Shop Boys – Love Comes Quickly (Live, 2024) (YouTube)
🎹 Und da wir heute ja so ein bissl 1980er Nostalgie verströmen: Ich liebe die Pet Shop Boys seit Ewigkeiten – und sie liefern immer noch. Neil Tennant und Chris Lowe machen seit Jahrzehnten ihr Ding, schreiben Welthits und sind dabei beide auch noch politisch wach. Diese neue Live-Version von Love Comes Quickly aus der Royal Arena in Kopenhagen erinnert mich an das erste Mal als ich Mitte der 1980 diesen Song gehört habe. Ja, auch Neil ist älter geworden. Aber er singt ihn immer noch wie zu Zeiten als Kohl noch ein junger Kanzler war.
(Video ist verlinkt)
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Wieder eine super Ausgabe! Danke für diese tolle Arbeit!
Glückwunsch zum Jubiläum! 🦊🩶🗯️